L’eremo

Sie wanderten weiter, der Pfad stieg stetig an. Ihre Schritte waren langsam, bedächtig. Sie hatten sich an einen gemeinsamen Rhythmus angepasst, ohne ein Wort zu wechseln. Hoch in der Luft flog ein Adler, fast regungslos, als würde er am Himmel kleben. Die Stille um sie herum wurde dichter, dumpf, beinahe absolut. Nur manchmal wurde sie durch das Kreischen eines Vogels unterbrochen, ein schneidendes Geräusch, scharf und einsam.

Der Weg führte sie tiefer in den Eichenwald. Es roch nach Moos und kalter Erde. Ihre Füße setzten sie, einen Schritt nach dem anderen, ohne Eile. Der Boden unter ihnen war mit frostigem Laub bedeckt.

Nach einer guten Stunde kamen sie an eine Straße und kurz danach erreichten sie ein Steinportal mit einem verschlossenen Tor aus dunklem Metall. Auf einer Holztafel las Leora die Aufschrift „Eremo di San Francesco“.

Roberto blieb stehen, blickte kurz auf das Tor, dann schwang er sich über die hüfthohe Mauer, die direkt an einer steilen Böschung lag.

– Vieni, sagte er.

Sie kletterte über die Mauer und sah die steile Böschung hinab. Dabei rutschte sie ab, konnte sich aber noch an einem Baum halten und zog sich langsam wieder nach oben. Ihre Knie waren feucht und mit Laub bedeckt. Ihre Arme zitterten leicht vor Anstrengung.

– Attenta, sagte Roberto, ohne sich umzusehen.

Der Weg war stellenweise vereist und die Kälte der glatten Steine stieg ihr an den Schienbeinen empor. Doch etwas an diesem Ort, die alten Eichen und das fahle Licht, das durch die dichten Äste drang, füllte sie mit einer seltsamen Ruhe, als sei sie hier in einer ganz anderen Welt.

Sie erreichten ein altes unbewohntes Kloster und durchquerten einen kleinen Innenhof. Ein Windstoß ließ ein paar Blätter auffliegen. Roberto ging zügig weiter.

– Das ist erst später entstanden, sagte er ein wenig abfällig. Sie ließen ein zweites Tor hinter sich und erreichten eine Grotte. Eine schmale Öffnung, die wie ein Tunnel in die Erde führte.

– La cellula di San Francesco, flüsterte Roberto und bekreuzigte sich.

Leora hatte Roberto noch nie in so einem andächtigen Zustand gesehen. Sein Gesicht war ernst, vielleicht sogar ehrfürchtig. Vorsichtig folgte sie ihm in die Höhle.

Die Luft wurde schneidend kalt. Leora zog ihre Jacke enger und fragte sich, wie irgendjemand an so einem Ort leben konnte.

Dann sah sie ihn.

Ein Mann lag in einer Vertiefung der Grotte, reglos wie eine Statue. Sein Gesicht halb im Schatten. War er tot? Leora schreckte zurück.

– Beppe?, rief Roberto erstaunt.

Er regte sich.

Das Bergdorf

Sie parkten den Bulli am Eingang des Bergdorfes, wo sie von einem Mann abgeholt wurden. Zum Haus mussten sie laufen.
„Camminare“, sagte der kleine, dünne Herr mit den lachenden Augen und klopfte Leora auf die Schulter. Thea und Joachim luden die Koffer aus. Leora bekam einen schweren Rucksack auf den Rücken, und Arne bestand darauf, einen großen gelben Koffer zu tragen, der fast größer war als er selbst. Doch kaum hatte er ihn in den Händen, nahm der Mann ihm den Koffer ohne ein Wort ab. Arne ließ es geschehen und nahm stattdessen den Esskorb, den ihm Thea reichte.
Die alte Gasse war kühl und roch nach feuchtem Stein. Ein Hund bellte in der Ferne. Eine alte Frau, die ihre Blumen auf der Straße goss, rief ihnen ein freundliches „Buona sera“ zu. Sie zwickte Arne in die Wange. „Bel bambino!“, rief sie ihm nach. Arne wischte sich über die Wange.


Vor einer alten Holztür zog der Mann einen großen Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Das Haus war schmal und hoch. Noch nie hatte Leora so schmale Häuser gesehen. Der Mann schaltete das Licht an.
„Prego“, sagte er und trat zur Seite.
Die Wände leuchteten weiß.
„Piccobello“, rief Arne und bekam seinen Mund nicht mehr zu. Nun wurde er auch von dem kleinen Mann gezwickt.
„Prego“, sagte er noch einmal und führte sie in den ersten Stock zum Wohnzimmer und weiter in den zweiten, wo das Bad und die Schlafzimmer lagen. Das Kinderzimmer war so eng, dass gerade einmal ein Doppelbett hineinpasste.
„Ich schlaf oben!“, rief Arne sofort. Leora zuckte mit den Schultern.
Im Bad entdeckten sie ein seltsames niedriges Waschbecken.
„Bidet“, erklärte der Mann.
„Was macht man mit einem Bidet?“, fragte Leora skeptisch.
Joachim beugte sich zu ihr. „Man wäschst sich den Popo“, flüsterte er.
Leora runzelte die Stirn. Also war das hier ein feines Haus. Weiße Wände und ein extra Waschbecken nur für den Popo!


Als der Mann gegangen war und sie wieder unten in der Küche standen, rief Joachim Arne und Leora zu sich.
„Die weißen Wände sind ein Problem“, mahnte er. „Sie müssen so bleiben. Keine Nutella, keine Erde, keine Farbe. Selbst mit frisch gewaschenen Händen. Fasst die Wände auf keinen Fall an!“
Denn sollte etwas passieren, sei ein Neuanstrich nötig. Und der wäre teurer als ein neuer Auspuff für den VW-Bus. So teuer, dass sie jahrelang nicht mehr in den Urlaub fahren könnten.
Leora erstarrte. Wie sollte sie es schaffen, nichts zu berühren. Selbst die Sofas und der Fußboden waren strahlend weiß.
„Wie sollten die Sofas mit Handtüchern abdecken“, meinte Thea und lief ins Badezimmer.
Die anfängliche Begeisterung über das schmale, hohe Haus war verflogen. Die Treppen durften nicht als Klettergerüst benutzt werden und das Sofa war eine noch größere Gefahr, die man besser mied.
Leora kramte in ihrer Tasche, um Buntstifte zu suchen.


Da klopfte es an der Tür. Joachim öffnete. Eine Gruppe Kinder stand draußen. Sie stellten eine Frage, die weder er noch Leora oder Arne verstanden. Die Kinder gestikulierten wild, winkten sie heraus.
Leora und Arne ließen sich nicht zweimal bitten.
Das Ferienhaus gefiel ihnen ohnehin nicht mehr.

Der Platz war voller Leben. Jemand hatte einen Kassettenrekorder mitgebracht. „Disco!“, rief ein Junge begeistert. Über ihnen zog eine Frau mit einer langen Schnur Wäsche von einem Haus zum anderen.
Die Musik wurde aufgedreht. Berry White, Adriano Celentano, Pink Floyd.
Die Kinder tanzten, klatschten, riefen „bravo!“ und „brava!“. Sie zogen Leora und Arne in ihre Mitte, wirbelten um sie herum.
Es wurde dunkel und die Kinder mussten nach Hause. Aber später, nach den Essen, sollten sie zur Kirche kommen.
Aufgeregt rannten Leora und Arne zurück. Beim Abendbrot erzählten sie von der Disko und der Kirche.
„Geht ruhig alleine,“ sagte Thea.
„Hier ist es ungefährlich“, bestätigte Joachim.
So liefen sie in der Dunkelheit zur Kirche. Zu Hause hätten keine zehn Pferde sie dorthin bekommen, aber hier war alles anders.
Dichter Weihrauchnebel lag in der Luft. Kerzen flackerten. Die ersten Dorfbewohner tauchten auf. Dann füllte sich die Kirche. Die Menschen sangen melodische Lieder, ihre Stimmen verschmolzen und hallten nach, hoch oben in der Kuppel. Ganz vorne, neben dem Priester, standen zwei Kinder, die sie vom Tanzen kannten. Jetzt trugen sie feierliche Gewänder.

Am nächsten Tag standen die Kinder mit Fahrrädern vor der Tür. Leora und Arne zogen mit ihnen los. Die Kinder rasten einen steilen Hang hinunter, bremsten abrupt, dass die Reifen quietschten.
Leora war an der Reihe. Sie setzte sich auf das Rad. Doch als sie hinunterraste, stellte sie panisch fest, dass es keine Rücktrittbremse hatte. Das Fahrrad wurde immer schneller.
„Frena!“, riefen die Kinder. „Frena!“
Leora verstand nicht, sie suchte nach der Bremse.
Dann kam der Stacheldrahtzaun.
Nicht weinen, befahl sie sich, Fassung bewahren.
Die Kinder rannten zu ihr. Sie lächelte ihnen zu. Fassung.
Lachen, bevor die anderen lachen. Aber niemand lachte.
Ein Mädchen schlug die Hände vors Gesicht.
„Madonna“.
Andere streichelten sie vorsichtig, halfen ihr auf.
Ihre Beine brannten. Blut lief an ihnen herunter.

An der Tür empfing Thea sie. Sie legte Leora auf den Küchentisch.
Die Kinder warteten draußen. Joachim holte das Verbandzeug aus dem Auto.
Nach der Behandlung betrachtete Leora sich im Spiegel. Sie sah verwegen aus.
Am Nachmittag klingelten die Kinder wieder. Sie setzten sich mit ihr vor die Tür. Zwei Kinder hielten ihre Hände. Gemeinsam sangen sie italienische Lieder.
Jetzt wusste Leora es.
Sie würde auswandern, sobald sie alt genug war.

Heimweh oder Fernweh

Habt ihr eher Heimweh oder eher Fernweh? Ein Thema meines neuen Romans, der 1990 spielt und vom Auswandern handelt. Fremd sein, nicht die Sprache verstehen, aber auch Abenteuer. Hier ein kleiner denkwürdiger Auszug des Aufbruchs:

Eine laute sizilianische Familie stieg ein und breitete sich im Abteil aus. Die alte Frau, vielleicht die Oma, packte ein Abendessen auf einer Picknickdecke aus, verteilte es an zwei Mädchen, einen Mann und eine Frau, beide Mitte dreißig.

Sie luden Leora zum Essen ein. Für die gesamte Reise bis Florenz gehörte sie nun zu ihrer Familie. Sie schenkte den Mädchen jeweils ein Überraschungsei, zog Wolle aus ihrem Rucksack und flocht ihnen bunte Haarsträhnen.

Dass sie nach Italien ziehen wollte, verstand die alte Frau nicht.
Hast du keine Angst vor … ? Sie sagte zuerst – nostalgia di casa, dann – Heimweh.

Heimweh? Nein. Eher nostalgia di lontano, antwortete Leora auf gestammeltem Italienisch. – Fernweh.
Es plagte sie schon seit Monaten. Endlich war sie unterwegs.

– Unter Fernweh kann ich mir nix vorstellen, sagte die Frau. – Nur Heimweh, das ist eine ganz schlimme Krankheit der Seele.

– Fernweh hat man, wenn man weit weg möchte, erklärte Leora. – Die Freiheit spüren.

– Ach was! Sie fuchtelte mit den Händen. – Warum gehst du weg aus so einem guten Land? Man verdient gut, keine Korruption, alles ordentlich.

– Zu ordentlich, sagte sie. – Und in Deutschland gibt es auch Korruption.

Die Frau neigte den Kopf und sagte: – Andere Länder, andere Sitten. Wir haben Heimweh, ihr habt Fernweh. Dabei schlug sie Leora kumpelhaft auf die Schenkel. – L’Italia è la più bella, was?

Lesung am 20.10 in Hamburg

Am 20.10. werde ich in Hamburg mal wieder aus meinem Debütroman „Anti“ lesen, wo es um eine antiautoritäre Kindheit in den Siebziger Jahren im Ruhrpott geht. Der kurze Roman ist aus der Sicht der sieben bis zehn jährigen Maja geschrieben, die in vier verschiedenen Welten zurechtkommen muss.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Christine Sterly-Paulsen für die Einladung zum „Abend Literatur und Film zum Thema Kinderrechte“

Ort: Café Why Not, Daimlerstr. 38, 22763 Hamburg

Zeit: 20.10.2024 um 19 Uhr

Einstieg: Zwei Kurzfilme zum Thema von DREH DEINEN FILM! e.V., „Systemfehler“ und „Das Kinderparlament“

Es lesen: Christine Sterly-Paulsen aus „Gegenliebe“ (2021), dystopischer Roman einer Welt, in der Kinder verboten sind

Gabriel Bornstein aus dem noch unveröffentlichten Roman „Roter Teppich“, Geschichte einer Kindheit auf St. Pauli

Gastautorin Lisei Luftvogel aus Ferrara liest aus dem Roman „Anti“ (2023), eine antiautoritäre Kindheit in den siebziger Jahren im Ruhrgebiet

Zara auf der Suche

Rezension von Sabine Winkler

Themenreich, intensiv, einnehmend. Ich bin froh, dieses Highlight durch eine Leserunde kennengelernt zu haben.

Zara erfährt zufällig, dass ihr Vater Reinhard 1985 gar nicht bei einem Motoradunfall in Indien gestorben ist. Gleich einer Schnitzeljagd führt die Spur 2008 von Pisa und Berlin zunächst nach Damaskus, wo sich der Kriegsreporter aufhalten soll, und weiter nach Aleppo und Beirut. Im Nahen Osten trifft Zara immer wieder auf hilfreiche Menschen, mit denen sie in die Sprache und Kultur eintaucht. Gleichzeitig stellt sie sich Gerüchten und Halbwahrheiten über die Vergangenheit ihres Vaters: War er Kriegsreporter oder sogar in bewaffnete Konflikte verstrickt? 

Der „Der Doppel-Schreier“ behandelt vielfältige Themen wie Liebe, Freundschaft und Familie, aber auch Generationskonflikte, kulturelle Missverständnisse, ideologische Blendungen und deren Folgen. 

Der Titel des Buches wiederholt sich im Cover, auf dem das gleichnamige Bild von Paul Klee abgebildet ist, und dessen Thema – auch im übertragenen Sinn – sich durch das gesamte Buch zieht. Die Roadstory besteht aus vier Teilen, an deren Anfang immer ein Bild oder der Ausschnitt einer Landkarte bei der Orientierung hilft. Der Schreibstil ist bildhaft und voller Leben; man meint sogar die Hitze und die Gerüche der labyrinthischen Altstädte Syriens beim Lesen selbst zu spüren. 

Auch Zara und die anderen Charaktere sind sehr lebensecht gezeichnet und es fällt meist leicht, ihr Verhalten zu verstehen und ihr Tun nachzuvollziehen. Doch es sind nicht nur diese intensiven Beschreibungen, die das Buch so faszinierend machen. Zaras Reise besteht auch nicht nur aus einer tatsächlichen Bewegung von A nach B. Es geht vor allem auch um die Erarbeitung von politischen Konstellationen und Konflikten des Nahen Ostens, auch um die kulturellen Unterschiede und Besonderheiten, sowie um die Kunst des Orients; eigentlich allgemein um die Konfrontation mit anderen Kulturen und die verschiedenen Wertvorstellungen, darunter auch um die Stellung der Frau. Die Autorin wirft immer wieder auch philosophische Fragen auf, die Zara in den Gesprächen mit ihren Freunden vertieft, deren Beantwortung aber großteils bei den Lesern und ihren Gedanken darüber bleiben. Das Buch ist daher sicher keine Lektüre, die man einfach so nebenher lesen kann – oder überhaupt möchte, denn das Interesse daran entsteht wie von selbst durch eine Art Sogwirkung, die von der Geschichte auszugehen scheint. 

Und diese Geschichte verdient es daher, sich als Leser ausgiebig damit zu beschäftigen. Die vielfältigen Themen, die eingestreuten Musiktitel, die man Dank heutiger Technik sehr gut parallel beim Lesen mithören kann, die politischen Gegebenheiten der Gegenwart – oder eigentlich des Jahres 2008, in dem diese Reise erfolgte – deren Wurzeln in den Erinnerungen an Zaras Kindheit erläutert werden und nicht zuletzt Zaras ganz persönliche Geschichte – all diese Aspekte machen den Roman zu einem außergewöhnlichen und absolut lesenswertem Buch, das man sicherlich gerne auch öfter lesen möchte. 

Pressemitteilung Neuerscheinung Roman 

Der Doppel-Schreier, eine Nah-Ost-Roadstory

 

Der Doppel-Schreier, Ende Juni 2024 erschienen, entführt die Leser*innen in die faszinierende und komplexe Welt des Nahen Ostens. Mit Einblicken in historische Ereignisse und kulturelle Zusammenhänge bietet dieses Buch ein einzigartiges Leseerlebnis.

Lisei Luftvogel, geboren 1971 im Ruhrgebiet, bringt mit ihrem neuen Roman Der Doppel-Schreier eine Erzählung auf den Markt, die im Frühjahr und Sommer 2008 sowie mit Flashbacks in den 70er und 80er Jahren spielt. Der Roman führt die Leser*innen von Pisa und Berlin nach Damaskus und Beirut und behandelt Themen wie den Kalten Krieg, den Nahostkonflikt, linken Terrorismus und kulturelle Missverständnisse.

Die Geschichte folgt der Protagonistin Zara, die dreiundzwanzig Jahre nach dem vermeintlichen Tod ihres Vaters erfährt, dass dieser noch lebt. Ihre Suche nach der Wahrheit führt sie durch die labyrinthartigen Gassen der Altstadt von Damaskus bis in die Berge des Libanons. Auf dieser spannenden Reise wird Zara mit der komplexen Vergangenheit ihres Vaters konfrontiert und muss sich den Herausforderungen ihrer eigenen Identität und Familiengeschichte stellen.

Neben einem riesigen Strauß von kulturellen, religiösen und sozialen Ereignissen im Vorkriegs-Syrien der 2000er Jahre vermittelt der Roman Einblick in die politische Situation im Nahen Osten. Angetrieben wird die Geschichte immer neu von den Verstrickungen einiger junger politisierter Europäer in den 70er und 80er Jahren und deren Folgen. 

Sowohl die unerwarteten Wendungen als auch Begegnungen dieser Suchreise sind packend erzählt. Die Sprache ist authentisch und die Beschreibungen detailliert. Das Motiv von Paul Klees „Doppel-Schreier“ verschiedener (Zwischen-)Welten gibt der Erzählung philosophische Tiefe. 

 

Über die Autorin:

Lisei Luftvogel, geboren im Ruhrgebiet und aufgewachsen in der linksalternativen Szene, hat eine bewegte Vergangenheit. Bereits als Kind reiste sie durch Europa und erlernte zahlreiche Sprachen. Ihre akademische Laufbahn führte sie nach Perugia, wo sie Philosophie, Anthropologie und Assyrisch-Babylonisch studierte, und später nach Venedig, wo sie Arabisch und Jiddisch lernte. Ihre Reisen nach Syrien und in den Libanon sowie ihre Erfahrungen in der linken Alternativszene ihrer Eltern und ihre Studien von Autobiografien und sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschungen zu Geheimdiensten, Kriegen, Ideologien und deren Auswirkungen prägen ihre tiefgründigen und vielschichtigen Erzählungen.

Luftvogel lebt seit über zwanzig Jahren in Ferrara, wo sie als Deutsch- und Feldenkrais-Lehrerin tätig ist. Ihre umfassenden Kenntnisse und persönlichen Erfahrungen spiegeln sich in ihren literarischen Werken wider. Der Doppel-Schreier ist eine Synthese ihrer lebenslangen Beobachtungen und Recherchen zu politischen und kulturellen Konflikten.

 

Buchdetails:

Sprache: Deutsch

Ausgabe: Gebundenes Buch

Umfang: 394 Seiten

Verlag: Tredition

Erscheinungsdatum:25.06.2024

Preis: 25 Euro (Hardcover),  9,99 Euro (E-Book)

ISBN Hardcover: 9783384197207

ISBN E-Book: 9783384197214

Ein mitreißender Spannungsgenuss mit tiefen Reflexionsebenen der Zeitgeschichte!

Rezension von Walter Pobaschnig

Literatur outdoors 7/24

„Die Blätter fallen. Und zwei rote davon direkt auf den Sarg ihres Vaters. Sprachlos stehen Zara und ihre Mutter vor dem Dunkel des Grabes. Viele Freunde sind gekommen, es ist bunt wie das Leben des Reporters, der in Indien bei einem Motorradunfall starb. So heißt es, jetzt, im stummen Fall der Blätter. Doch für Zara zerreißt die Stille im Schmerz und sie stürmt davon, wie ihr Vater Reinhard in seinem Leben zwischen Kulturen, Grenzen, Begegnungen und Aufbrüchen…

In Italien begegnen Zara und Ruth dem Fotografen Johannes, einen Kollegen des Vaters und jetzt kommt es zu einer Offenbarung, der Zara nur mit einem Schrei begegnen kann…

Ihr Vater ist nicht tot. Im Grab liegt nur die verbrannte Lederjacke.

Und jetzt bricht Zara auf. Eine Spurensuche beginnt zwischen Tochter und Vater, Erinnerung und Erfahrung, Religion, Kultur und Politik, Liebe und Schmerz, Hoffnung und Ausweglosigkeit…

Lisei Luftvogel, in Essen geborene und in Ferrara lebende Autorin, legt mit Der Doppelschreier ihren zweiten Roman vor und begeistert darinmit sprachlicher Virtuosität in einem kulturellen roadmovie der Sonderklasse.

Die studierte Philosophin wie ebenso der Arabistik/Judaistik packt eine spannungsgeladene persönliche Spurensuche in Brennpunkte der Zeitgeschichte des Nahen Ostens wie Kalten Krieges und lässt so ein Gesellschaftspanorama entstehen, dass an ganz große literarische Werke wie Thomas Mann oder Alfred Döblin erinnert, allerdings im verdichteten Zeitraffer eines krimigleichen Erzählstranges, der im dialogischen wie topografischen Tempo eine genuin selbstbewusste wie faszinierende literarische Form findet.

„Ein mitreißender Spannungsgenuss mit tiefen Reflexionsebenen der Zeitgeschichte!“

Der Doppelschreier, Lisei Luftvogel. Roman. Tredition.

Sprache: Deutsch
Ausgabe: Gebundenes Buch
Umfang: 396 Seiten
Verlag: Tredition
Erscheinungsdatum:25.06.2024
Preis: 25 Euro (Hardcover), 9,99 Euro (E-Book)
ISBN Hardcover: 9783384197207
ISBN E-Book: 9783384197214“

Walter Pobaschnig 7/24

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Eintauchen in eine andere Welt

Rezension von Michael Blum

Wer das Bild von Paul Klee auf dem Buchcover ‚Der Doppel-Schreier‘ nicht kennt, wird zunächst ein wenig verwundert, aber umso neugieriger auf den Inhalt sein. Lisei Luftvogel ist mit ihrem zweiten Buch ein hochkomplexes Romanwerk gelungen, dem man sich kaum entziehen kann. Zunächst scheint das zentrale Thema Zaras Vatersuche zu sein; Zaras Suche ist dabei eingebettet in eine Reise nach Syrien und in den Libanon; offenbar ist ihr Vater, Kriegsreporter, nicht wirklich bei einem Unfall ums Leben gekommen und damals lediglich seine Lederjacke beerdigt worden. Aus vielen Puzzelsteinchen versucht Zara sich einen Reim darauf zu machen, wie die Geschichte nach dem Verschwinden des Vaters wohl weitergegangen ist, wo er sich aufhält und was der Grund für die Kontaktlosigkeit ist. Bei ihrer Suche taucht Zara ein in fremde kulturelle Welten Vorderasiens, in die Geschichte der Befreiungsbewegungen der Region und ihre verzweigten Verbindungen; sie begegnet nicht nur der Lebenswirklichkeit der Menschen der Region sondern auch der Freundschaft und der Liebe. Der Roman ist ein Lehrstück über die Zeit vor dem arabischen Frühling, als Hoffnung auf Veränderung herrschte und vieles möglich schien. Zaras Vatersuche ist aber auch der Versuch einer Neubestimmung der eigenen Identität, nicht nur eine Reise im Außen sondern auch im Innen – die vertrauten Werte ihrer linksalternativen Lebensart und Geisteshaltung stehen auf dem Prüfstand. Ein Roman, der die eigene Perspektive erweitert und einen bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt.

„Ein Buch für das man sich Zeit nehmen sollte„

Rezension von Brinif31

Zaras Vater starb bei einem Motorradunfall. 

Später erfährt sie jedoch, dass sie nicht nur von ihrer Mutter, sondern auch von nahen Bekannten belogen wurde. 

Ihr Vater lebt und auf der Beerdigung wurde lediglich die Motorradjacke von Zaras Vater beerdigt. 

Zum Verbleiben ihres Vaters schweigen alle und sie hat nur den Hinweis, dass sich ihr Vater im Damaskus aufhalten muss. 

Also begibt sie sich alleine auf die Reise und versucht mit verschiedenen Hinweisen Licht ins dunkle zu bringen. 

Zaras Reise hat mich wirklich zutiefst beeindruckt. 

Ich selbst bin eigentlich ein sehr schneller Leser, aber Zaras Reise in den nahen Osten musste ich wirklich in Ruhe lesen, um alle Eindrücke genießen und wie ein Schwamm aufsaugen zu können. 

Auf Zaras Suche nach ihrem Vater begegnet sie so vielen, wundervollen Menschen und muss sich mit den kulturellen Unterschieden auseinandersetzen. 

Ich bin gedanklich mit Zara durch die Straßen gegangen, habe die unerträgliche Hitze gespürt und Gerüche von fernen Ländern und Kulturen in der Nase gehabt. (Ich hoffe, man versteht wie ich das meine). Der Schreibstil ist wirklich bildhaft und vor allem lebhaft dargestellt. 

Ich wusste zu keinem Zeitpunkt wo die Reise hinführt und auch mit dem Ausgang der Geschichte habe ich nicht gerechnet. Das hat mich tatsächlich sehr berührt und ich habe mit Zara mitgefühlt. 

Wer das Buch liest, sollte sich wirklich Zeit nehmen und alles auf sich wirken lassen. Man wird auf jeden Fall belohnt.