Heute morgen wache ich früh auf. Ich merke es gleich. Es ist nicht mehr so wie gestern. Ich stehe auf, gehe in die Küche und öffne das Fenster. Elstern hüpfen durch den Garten im Frühnebel. Frische Luft dringt ins Zimmer. Die Luft der Freiheit. Ich atmete sie tief ein. Die Elstern krächzen und springen im Garten herum. Ich koche Mokka und Bergtee. Mein Mann wundert sich, mich schon so früh auf den Beinen zu sehen. Er hat Glück. Er geht arbeiten, auf dem Damm am Fluss Po. Bei seinen Kontrollfahrten als Dammwart kann er sich frei bewegen. Ich spüre, wie meine Gemütsverfassung gegenüber dem Vortag den Bach runter gegangen ist. Gestern abend hat der Ministerpräsident Conte im Fernsehen erklärt, dass nun niemand mehr das Haus verlassen dürfe, außer für die wesentlichen Bedürfnisse, zum Arbeiten und zum Einkaufen. Die Bars und Restaurants sind geschlossen worden. Zu viele Leute hatten noch in den Bars herumgehockt, junge und alte. Vor allem für die alten Menschen sind die Bars Orte der Begegnung, an denen sie Neuigkeiten austauschen, Zeitung lesen, Karten spielen oder einfach nur rumsitzen und den Menschen zuschauen, die auf einen Kaffee vorbeikommen. Die Bars sind viele kleine Herzen der italienischen Städte. Ich überlegte mir, wie ich meinen Körper fit halten kann, ohne auf die Straße zu gehen. Heute wird es warm. Der Pflaumenbaum blüht. Natürlich kann ich noch in den Garten gehen, aber dort wie ein Gefangener tausend Schritte im Kreis tun? So weit bin ich noch nicht. Ich lese in Facebook, dass Spazierengehen verboten ist und dass man dafür auch bestraft werden kann. Man darf nur mit einer selbstgeschriebenen Berechtigung vor die Tür und nur im Notfall, zum Einkaufen, zum Arzt oder zur Apotheke. Mein Mann verabschiedet sich von mir. Ich beneide ihn. Im Garten blühen die Narzissen und die Veilchen. Ich fühle mich niedergeschlagen. Es ist ein Frühling, der wohl vorbeigehen wird, ohne ihn genießen zu können. Das Nichts dringt immer weiter vor, von Tag zu Tag einen kleinen Schritt weiter.
Ich lese eine Erklärung zu den Anordnungen der Regierung und erfahre, dass man doch spazieren gehen darf. Es fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich fühle mich seit heute morgen, wie ein eingesperrter Tiger. Jeder der rausgeht, muss einen Grund haben. Es wird mit Strafen gedroht. Ich lade eine Genehmignung von Computer runter und fülle sie aus. Draußen sein fühlt sich seltsam an. Vorsichtig schreite ich Richtung Stadtmauer. Eine unheilvolle Stille weit und breit. Ich atme die Luft in meine Lungen. Freiheit. Die Vögel zwitschern auf den Bäumen. Die Kirschbäume blühen. Auf der Stadtmauer laufen Menschen herum. Zum Glück bin ich nicht die Einzige. Ich gehe auf der Wiese lang, um nicht auf die anderen achten zu müssen. Ein wenig weiter finde ich einen Weg zwischen zwei Mauern, ohne Menschen. Dort wo die Vögel singen, das Gras wächst und die Sonne scheint, da komme ich wieder zu mir selbst. Glückstränen. Bin ich schon so psychisch labil?